In der dynamischen Landschaft der Technologie ist die Regulierung von Künstlicher Intelligenz (KI) ein zentrales Thema. Die Europäische Union hat mit der KI-Verordnung (KI-VO) Pionierarbeit geleistet und weltweit erste Regeln zur Bewältigung von KI-Risiken etabliert. Doch während die Gesetzgebung voranschreitet, stellen sich immer wieder Fragen zur Praktikabilität und den Zeitplänen ihrer Umsetzung. Der Rat der EU-Telekommunikationsminister hat in Luxemburg über die Vereinfachung der Digitalgesetzgebung. Eine Fristverschiebung der Umsetzung der KI-Verordnung wurde dabei nicht ausgeschlossen.
Wird sich das Inkrafttreten der KI-Verordnung verzögern?
Die KI-Verordnung, die 2024 vereinbart wurde, sieht eine schrittweise Inkraftsetzung über einen Zeitraum von anderthalb Jahren vor. Erste Regelungen traten bereits im Februar dieses Jahres in Kraft, weitere wichtige Termine sind im August 2025 und 2026 vorgesehen. Insbesondere Anbieter komplexester KI-Modelle sollen ab dem 2. August 2025 neue Pflichten erfüllen. Doch genau hier beginnt die Diskussion über mögliche Verzögerungen. Ein Hauptgrund für die Diskussion um Verzögerungen ist, dass wesentliche Leitlinien und technische Standards noch nicht bereitstehen. Die ursprünglich für August 2025 angesetzten Standards werden laut CEN-CENELEC, den federführenden Normungsgremien der EU, nun erst 2026 fertig sein.
„Stop-the-clock“-Mechanismus als Alternative
Angesichts dieser Verzögerungen kommt aktuell vermehrt der sogenannte „Stop-the-clock“-Mechanismus zur Sprache. Dieser würde bedeuten, dass die Anwendungsdaten verschoben werden, wenn die erforderlichen Standards und Leitfäden nicht rechtzeitig vorliegen. In einem Bericht der polnischen Ratspräsidentschaft über die „Ergebnisse der Diskussionen über Vereinfachungsmaßnahmen im Digitalbereich“ wird explizit die Wiederverwendung des „Stop-the-clock“-Mechanismus für den Bereich der Technologiegesetzgebung empfohlen, falls Compliance-Tools wie Standards nicht verfügbar sind. Die KI-Verordnung wird dabei ausdrücklich als ein Beispiel genannt. Dariusz Standerski, Polens Digital-Staatssekretär, bezeichnete diese Forderung der Industrie gegenüber Politico als „vernünftig“. Er fügte jedoch hinzu, dass eine bloße Verzögerung der Fristen nicht der richtige Weg sei. Einige EU-Minister signalisierten ebenfalls Offenheit für eine Fristverlängerung. Der deutsche Digitalminister Karsten Wildberger erklärte, Deutschland sei aufgrund der Verzögerung bei den Normen offen für eine Verlängerung der Fristen. Der stellvertretende Industrieminister der Tschechischen Republik, Jan Kavalírek, forderte sogar, die Geltung einiger noch nicht in Kraft getretener Teile um zwei Jahre zu verschieben.
Herausforderung der EU Digitalgesetzgebung
Die Debatte um die Fristverschiebung der KI-Verordnung ist Teil einer umfassenderen Initiative der EU zur Vereinfachung von Vorschriften und zum Abbau bürokratischer Hürden, die als „Digital Omnibus“ bezeichnet wird. Die polnische Ratspräsidentschaft hat sich diese Priorität gesetzt, um Innovationen zu fördern und Belastungen für Unternehmen, insbesondere kleine und mittlere (KMU), zu reduzieren. Stakeholder haben in Konsultationen eine Reihe von Herausforderungen identifiziert, die die effektive Umsetzung digitaler Gesetze, einschließlich der KI-VO, erschweren.
Unternehmen sehen sich mit einer unübersichtlichen Rechtslage konfrontiert. Unterschiedliche und teils widersprüchliche Anforderungen aus verschiedenen Digitalgesetzen, unklare Definitionen und fragmentierte Berichtspflichten erschweren die Anwendung. Nationale Abweichungen und zusätzliche Anforderungen („Gold-Plating“) führen zu Mehrbelastung, besonders für KMU. Hinzu kommen Schwierigkeiten beim Zusammenspiel mit bestehenden Regelwerken wie der DSGVO, etwa bei Fragen der Datenminimierung oder Zweckbindung im Kontext von KI-Training. Auch die knappen Umsetzungsfristen und das Fehlen zentraler technischer Standards stellen ein ernstzunehmendes Risiko für eine einheitliche und rechtssichere Implementierung dar.
Vorschläge für eine effektivere Umsetzung:
Die Konsultationen haben eine Reihe von Ideen zur Vereinfachung und Unterstützung der Implementierung hervorgebracht, die auch für die KI-Verordnung relevant sind. Zur Entlastung der Unternehmen und zur Verbesserung der Umsetzbarkeit wurden mehrere Maßnahmen vorgeschlagen. Ein zentraler Ansatz ist der „Stop-the-clock“-Mechanismus. Weitere Ideen umfassen die Schaffung eines behördenübergreifenden Koordinierungsforums auf EU-Ebene, gemeinsame Leitlinien zur Auslegung des Gesetzes sowie standardisierte Vorlagen für Risiko- und Datenschutzprüfungen. Zusätzlich sollen Regulierungs-Sandboxes, IT-gestützte Compliance-Tools und Plattformen für den Datenaustausch entwickelt werden. Besonders KMU sollen durch vereinfachte Prüfpfade oder Ausnahmen unterstützt werden. Auch DSGVO-Prinzipien sollen im Kontext von KI-Training besser klargestellt und angepasst werden.
Fazit
Die Wahrscheinlichkeit einer teilweisen Verzögerung des Inkrafttretens der KI-Verordnung ist angesichts der fehlenden Standards und Leitlinien sowie des Drucks aus Industrie und einigen Mitgliedstaaten durchaus gegeben. Es ist jedoch klar, dass die EU bestrebt ist, die Balance zwischen robusten Schutzmaßnahmen und der Förderung von Innovation und Wettbewerbsfähigkeit zu finden. Die Diskussionen drehen sich nicht nur um das „Ob“ einer Verzögerung, sondern auch um das „Wie“. Der „Stop-the-clock“-Mechanismus bietet hierfür einen praktikablen Weg, wenn er mit klaren Fortschrittszielen verbunden wird. Gleichzeitig zeigt die Diskussion der Fristverschiebung, dass über die KI-Verordnung hinaus eine breitere Vereinfachung der digitalen Regulierung notwendig ist.