Die fortschreitende Integration Generativer Künstlicher Intelligenz (GenAI) in kreative und geschäftliche Prozesse stellt das etablierte Gleichgewicht des EU-Urheberrechts vor strukturelle Herausforderungen. Ein aktueller Bericht, der im Auftrag des Ausschusses für Recht (JURI) des Europäischen Parlaments erstellt wurde, beleuchtet die gravierenden Diskrepanzen zwischen den GenAI-Trainingspraktiken und dem geltenden Urheberrecht.
Grundlagen des europäischen Urheberrechts
Das EU-Urheberrecht ist menschenzentriert und schützt Werke nur dann, wenn sie die „eigene intellektuelle Schöpfung des Urhebers“ darstellen. Dieses Prinzip, das durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gefestigt wurde, ist im Kern der InfoSoc-Richtlinie (2001/29/EC) verankert. Die Richtlinie gewährt Urhebern ausschließliche Rechte, insbesondere das Vervielfältigungsrecht und legt in Artikel 5 verschiedene Ausnahmen und Beschränkungen fest.
Die CDSM-Richtlinie (2019/790/EU) erweiterte diesen Rahmen 2019 um zwei Text- und Data-Mining-Ausnahmen (TDM). Der Artikel 3 gilt für die wissenschaftliche Forschung. Der Artikel 4 erlaubt TDM durch jedermann – vorausgesetzt, Rechteinhaber haben ihr Werk nicht ausdrücklich maschinenlesbar vom TDM ausgenommen (Opt-out). Diese Ausnahmen sind jedoch eng auszulegen und müssen dem sogenannten Drei-Stufen-Test (Artikel 5 Abs. 5 InfoSoc-Richtlinie) genügen, wonach sie auf bestimmte Sonderfälle beschränkt, die normale Werknutzung nicht beeinträchtigen und die berechtigten Interessen der Rechteinhaber nicht unzumutbar verletzen dürfen.
Ergebnisse der Studie
Die Studie zeigt, dass Generative KI die Grundprinzipien des EU-Urheberrechts infrage stellt.
Das Training von KI-Modellen auf Basis massenhaft genutzter, urheberrechtlich geschützter Werke ohne Vergütung verschiebe das Verhältnis von Rechten und Pflichten erheblich. Die Herausforderung liege dabei nicht in der Technologie selbst, sondern in der instrumentellen Neuinterpretation etablierter Rechtsgrundsätze, die die Kohärenz des Urheberrechtssystems gefährde. Der Bericht identifiziert fünf zentrale Feststellungen:
- Fehlannahme beim Training (Input): Die Ausnahme des Artikels 4 CDSM-Richtlinie wurde nicht für die expressive und synthetische Natur des KI-Trainings konzipiert. Das Training überschreite den analytischen Zweck von TDM und verzerre den Anwendungsbereich der Ausnahme. Zudem bestünden erhebliche Zweifel, ob das massenhafte, unvergütete Training geschützter Werke den Drei-Stufen-Test erfülle – insbesondere, weil es weder auf „bestimmte Sonderfälle“ beschränkt ist noch die „normale Verwertung“ der Werke unberührt lässt.
- Unklare Schutzgrenzen (Output): Outputs, die vollständig maschinell generiert werden, sollen weiterhin keinen Urheberrechtsschutz genießen, da ihnen die nach EU-Recht erforderliche menschliche intellektuelle Schöpfung fehle. Dennoch seien harmonisierte Kriterien für den Schutz KI-unterstützter Werke erforderlich, bei denen ein Mensch kreative Entscheidungen trifft.
- Notwendigkeit einer Vergütung: Zur Schließung der wachsenden Wertlücke zwischen Urhebern und KI-Entwicklern sei ein gesetzliches Vergütungssystem unerlässlich. Aktuell existiere kein Mechanismus, der Urheber für die massenhafte Verwendung ihrer Werke als Trainingsdaten entschädigt.
- Governance-Fragmentierung: Die Zuständigkeit für Urheberrecht und KI ist institutionell fragmentiert (verteilt auf nationale Gerichte, EUIPO, KI-Amt), was eine langsame Durchsetzung und hohe Rechtsunsicherheit zur Folge hat. Kohärente, sektorübergreifende Antworten seien der Studie nach zur Gewährleistung der Rechtskonformität dringend erforderlich.
- Risiko der Untätigkeit: Das Ausbleiben gezielter und rechtzeitiger Reformen steigere die Rechtsunsicherheit, fördere die Marktkonzentration zugunsten weniger großer Plattformen und riskiere die Erosion der Anreize für menschliche Kreativität und kulturelle Vielfalt in Europa.
Reformempfehlungen
Anschließend skizziert die Studie einen Weg zu einer Reform – basierend auf Transparenz, Verhältnismäßigkeit und systemischer Kohärenz – damit Europa sowohl innovationsfreundlich als auch schützend gegenüber Kreativen bleiben kann. Die EU solle danach längerfristig vom Opt-out-System für GenAI-Training abrücken und zum Opt-in-Ansatz zurückkehren, der die vorherige Genehmigung durch Rechteinhaber vorschreibt. Dies sei notwendig, um die strukturelle Inkohärenz von Artikel 4 zu beenden.
Des Weiteren wird die Einführung eines gesetzlichen Vergütungsmechanismus vorgeschlagen. Dieser soll Urhebern einen fairen Anteil am durch KI generierten Wert zuweisen. In den USA verpflichtete ein Gericht die Anthropic zur Vergütung. Zudem empfiehlt die Studie, dass Entwickler standardisierte Datensatzprotokolle führen und Traceability-Tools (wie Wasserzeichen oder Fingerabdrücke) implementieren. Damit soll eine End-to-End-Prüfung der Nutzung geschützter Inhalte ermöglicht werden. Zuletzt wird vorgeschlagen, eine spezialisierte AI & Copyright Unit innerhalb des EU KI-Büros (AI Office) einzurichten, um Audits der Trainingsdatensätze zu überwachen und die Nachverfolgbarkeit zu gewährleisten.
Handlungsbedarf für Unternehmen
Die Studienergebnisse zeigen, dass das Vertrauen auf die aktuelle TDM-Ausnahme zur Rechtfertigung des GenAI-Trainings auf einer rechtlich fragilen Basis steht. Für Unternehmen resultiert daraus ein Handlungsbedarf in den Bereichen Compliance und Risikomanagement.
Auch wenn maschinell erzeugte Inhalte nicht urheberrechtlich geschützt sind, können sie dennoch Rechte verletzen, wenn sie geschützte Trainingsdaten reproduzieren. Unternehmen sollten interne Kontrollmechanismen einführen, redaktionelle Verantwortung beibehalten und technische Tools zur Nachverfolgbarkeit (z. B. Wasserzeichen) nutzen. Zum anderen ersetzte die in der KI-Verordnung geforderte Offenlegung von Trainingsdatensätzen keine urheberrechtliche Genehmigung. Die Pflicht zur Veröffentlichung von Datensatz-Zusammenfassungen sei prozeduraler Natur. Unternehmen sollten daher prüfen, ob ihre KI-Anbieter rechtssichere Lizenzierungen garantieren.
Fazit
Die Studie mahnt, dass Generative KI-Systeme in einem Umfang und einer Undurchsichtigkeit operieren, für die das EU-Urheberrecht nie konzipiert wurde. Um die Integrität des Rechtssystems zu bewahren und kreative Anreize zu schützen, fordert die Studie eine Rückkehr zu genehmigungsbasierten Nutzungsmodellen (Opt-in) sowie die Schaffung klarer Vergütungsmechanismen. Bis zur Klärung durch den Gesetzgeber oder den EuGH sollten Unternehmen ihre KI-Compliance überprüfen und sicherstellen, dass weder unvergütete noch unautorisierte Werke für Training oder kommerzielle KI-Ausgaben genutzt werden.









