Die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in die polizeiliche Videoüberwachung ist ein zunehmend diskutiertes Thema in Deutschland. Mehrere Bundesländer, darunter Hessen, Niedersachsen, Thüringen und Hamburg, planen oder erproben den Einsatz solcher Technologien, um die öffentliche Sicherheit zu verbessern. Doch diese Vorhaben stoßen insbesondere bei den Landesdatenschutzbeauftragten auf erhebliche Bedenken.
KI-Einsatz zur Gefahrenabwehr: Pläne der Bundesländer
In Hessen ermöglicht ein verabschiedetes „Gesetz zur Stärkung der inneren Sicherheit“ den Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei Überwachungskameras durch die Polizei. Die KI-gestützte Videoüberwachung soll testweise an bestimmten Orten für mehr Sicherheit sorgen und ein schnelles Reagieren der Polizei ermöglichen. Der Mensch bleibt zwischengeschaltet, der eine inhaltliche und rechtliche Prüfung vornehmen muss. Die biometrische Identifizierung ist erst als letzter Schritt bei erheblichen Gefahren möglich. Die Technologie kann bereits „Schlagen, Treten, Stoßen“ einwandfrei detektieren, so ein Sprecher der Polizei Mannheim gegenüber Hessenschau. KI ist eine wertvolle Unterstützung, die Entscheidung trifft am Ende aber immer ein Mensch.
Auch in Niedersachsen bekundete die SPD gegenüber NDR Niedersachsen ihre Bestrebungen, der Polizei den Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei der Videoüberwachung zu ermöglichen. Ziel ist es, Gesichter, Stimmen und Bewegungsmuster automatisch zu erkennen, um Gefahrensituationen oder verdächtige Verhaltensmuster frühzeitig zu identifizieren. So sollen beispielsweise Anschläge vereitelt werden können. Ein Gesetzentwurf soll noch vor Jahresende im Landtag beschlossen werden.
Die Thüringer Landesregierung plant ebenfalls, ihre Sicherheitsarchitektur durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz zu modernisieren. Der Entwurf für ein neues Polizeiaufgabengesetz sieht vor, Bildaufzeichnungen von Personen zur Gefahrenabwehr anzufertigen und diese automatisch auszuwerten. Dies wäre beispielsweise am Erfurter Anger denkbar, der als Kriminalitätsschwerpunkt gilt und bereits videoüberwacht wird. Die automatische Auswertung soll dabei auf das Erkennen von Verhaltensmustern ausgerichtet sein, die auf Gefahrensituationen oder Straftaten hindeuten.
Hamburgs kontroverse Datenverwendung für KI-Training
In Hamburg ist eine Änderung des „Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei“ bereits im Januar in Kraft getreten. Sie erlaubt der Polizei, personenbezogene Daten für das Training und Testen von KI-Systemen zu verwenden und an Dritte weiterzugeben. Besonders kritisch ist, dass unter bestimmten Umständen auf Anonymisierung oder Pseudonymisierung verzichtet werden kann, wenn dies als „unverhältnismäßiger Aufwand“ gilt. Bereits 2023 fand am Hansaplatz ein Pilotprojekt mit Deep-Learning-Modellen statt. Ab dem 1. September 2025 will die Hamburger Polizei eine KI mit Videoaufnahmen von Passanten am Hansaplatz und Hachmannplatz trainieren; einige Aufnahmen könnten bis Ende August 2026 gespeichert werden. Passanten, die nicht möchten, dass ihre Bilder für das KI-Training verwendet werden, müssen die Plätze während der Aufnahmezeiten meiden.
TLfDI warnt vor Grundrechts-Gefahr
Der Thüringer Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (TLfDI) Tino Melzer sieht zwar die Notwendigkeit moderner Polizeiarbeit, hält jedoch einige der Vorhaben für problematisch und warnt gegenüber der Thüringer Allgemeine vor einer Gefahr für die Grundrechte. Er bezweifelt, wie gut die Erkennung von Verhaltensmustern funktionieren wird und befürchtet, dass auch Daten unbescholtener Bürger ausgewertet werden könnten. Ob die KI zwischen einem medizinischen Problem und einer vermeintlichen Gefahrensituation oder zwischen einer gewalttätigen Auseinandersetzung und einem sich umarmenden Pärchen unterscheiden könne, sei zweifelhalft. Er betont, dass eine Überwachung im öffentlichen Raum stets einen erheblichen Eingriff in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung darstellt. Melzer warnt zudem vor einem „Chilling Effect“. Dieser beschreibt ein Verhalten, bei dem Menschen sich in dem Wissen um die Überwachung anpassen und nicht auffallen wollen. Die sei als Freiheitsbeschränkung anzusehen.
Die geplante automatisierte Auswertung biometrischer Daten wie Gesichter und Stimmen mittels öffentlich zugänglicher personenbezogener Daten aus dem Internet ist für Melzer „sehr, sehr kritisch“. Er hinterfragt, was als „öffentlich zugänglich“ zu verstehen ist und ob dies auch soziale Medien wie Instagram umfasst, da hierfür Zugangsdaten erforderlich sind. Ihm fehlen konkrete Angaben im Entwurf und er fordert eine Berichterstattung an den Landtag. Melzer ist der Ansicht, dass moderne Polizeiarbeit und Datenschutz vereinbar sind. Dennoch bestehe Überarbeitungsbedarf im aktuellen Referentenentwurf, um Polizisten klare Regeln zu geben. Der Leitfaden des TLfDI für Videoüberwachung durch öffentliche Stellen in Thüringen untermauert diese Position. Er betont die hohe Schutzwürdigkeit von personenbezogenen Daten und, dass die Videoüberwachung im öffentlichen Raum ein komplexes Feld darstellt, das umfassende Abwägungen und Dokumentationspflichten erfordert.
LfD NI fordert klare Regeln
Der niedersächsische Datenschutzbeauftragte Denis Lehmkemper hat ebenfalls Bedenken. Er kritisiert, dass ein computergeneriertes, künstlich gealtertes Foto, das durch Datenbanken und soziale Netzwerke geschickt wird, nicht durch die EU-KI-Verordnung erlaubt sei. Ebenso dürfe ein Landespolizeigesetz dies nicht aushebeln. Obwohl er es grundsätzlich begrüßt, dass das Innenministerium Rechtsgrundlagen für KI schaffen will, hinterfragt er, ob diese aus Datenschutzsicht ausreichen werden. Lehmkemper fordert gegenüber NDR Niedersachsen „klare Regeln“. Ihm fehlen Löschfristen, begrenzte Speicherzeiten für Persönlichkeitsdaten und richterliche Vorbehalte. Die Polizei dürfe solche Werkzeuge nur in bestimmten Gefahrenlagen nutzen. Er betont, dass es kaum Erfahrungswerte anderer Länder bei der Überwachung durch KI gibt und diese Instrumente keinesfalls fehlerfrei sind. Die Frage, ob KI ein geeignetes Mittel ist und ob ein solcher Eingriff in Persönlichkeitsrechte im Verhältnis zur Gefahrenabwehr steht, bleibt für ihn offen.
Fazit
Die Pläne der Länder zur Nutzung von KI in der polizeilichen Videoüberwachung verdeutlichen den Spagat zwischen dem Wunsch nach mehr Sicherheit und dem Schutz fundamentaler Grundrechte. Die Kritik der Datenschutzbeauftragten in Thüringen und Niedersachsen macht deutlich, dass die aktuellen Gesetzesentwürfe noch weitreichende Fragen offenlassen, insbesondere hinsichtlich der Fehleranfälligkeit von KI-Systemen, der Speicherdauer von Daten und der Abgrenzung zu bestehenden EU-Verordnungen. Um die Akzeptanz und Rechtmäßigkeit dieser neuen Technologien zu gewährleisten, sind präzise gesetzliche Grundlagen, die eine klare Abwägung zwischen Sicherheitsbedürfnissen und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorsehen, unerlässlich. Die kommenden Beratungen in den Landtagen werden zeigen, inwieweit die Bedenken der Datenschutzbehörden berücksichtigt werden.
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